«Die Rakete zu den Planetenräumen» von Hermann Oberth (Munich: Verlag R. Oldenbourg, 1923)
Erworben im Jahr 2024
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Eine utopische Fantasie oder eine erstaunliche Möglichkeit? Diese Frage stellte sich, als dieses Buch über Weltraumraketen 1922 zum ersten Mal als Doktorarbeit an der Universität Göttingen vorgestellt wurde. Die Professoren entschieden sich für die Variante «utopische Fantasie» und behandelten den Autor Hermann Oberth (1894–1989) herablassend als einen Schriftsteller, der besser für die Belletristik geeignet sei. Daraufhin nahm Oberth sein Werk in seine Heimat Rumänien mit und verteidigte seine Dissertation an der Universität Cluj erfolgreich. 1923 veröffentlichte er sein Buch beim auf Luftfahrt spezialisierten Oldenbourg Verlag in München unter dem Titel «Die Rakete zu den Planetenräumen». Innerhalb weniger Jahre erregte das Buch, wahrscheinlich zum Entsetzen der skeptischen Göttinger Professoren, Aufsehen und beflügelte die Vorstellungskraft in der Wissenschaft und darüber hinaus.
Es war eine der ersten Abhandlungen, die sich konsequent mit den wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen der Raumfahrt auseinandersetzte und einen umfassenden theoretischen Rahmen für die Raketentechnik bot. Oberths Buch beschreibt nicht nur den Einsatz fortschrittlicher flüssigkeitsbetriebener Raketen und das Konzept der mehrstufigen Raketen. Es enthält auch die erforderlichen Berechnungen, um die Fluchtgeschwindigkeit zu erreichen und die Auswirkungen der Schwerkraft zu überwinden, so dass die Erdatmosphäre verlassen werden kann. Es ist darüber hinaus eine sehr stilvolle Publikation und weist viele futuristische Qualitäten im Layout auf, von der innovativen Umschlagschrift, die mit der Energie eines Raketenstarts knistert, bis hin zu den eleganten technischen Zeichnungen und den prägnanten Texten. 1929 erschien eine erweiterte dritte Auflage unter dem Titel «Wege zur Raumschiffahrt», von der sich auch eine Faksimile-Ausgabe in den Beständen der Eisenbibliothek befindet.
Trotz des Optimismus des Autors im Hinblick auf das kommende Weltraumzeitalter kann selbst, wer den Zweiten Weltkrieg kaum studiert hat, nicht umhin, im Entwurf für die Rakete Modell B den Schatten der V2 zu sehen, der ersten ballistischen Langstreckenrakete der Welt. In seiner erweiterten dritten Auflage schrieb Oberth über das militärische Potenzial seiner Entwürfe, und es dürfte nicht überraschen, dass einer seiner Leser Wernher von Braun (1912–1977) war, der spätere Assistent von Oberth und schliesslich Leiter des Projekts zur Entwicklung der V2-Rakete in Peenemünde.
Im Rückblick auf seinen Werdegang kommt Oberth auf seine Kindheit in Sibiu, Transsilvanien, zurück, wo er ein Exemplar von Jules Vernes «Von der Erde zum Mond» (1865) erhalten hatte. So kann sein Werk als eine von der Fiktion inspirierte Wissenschaft betrachtet werden, aber seine Forschung führte wiederum zu einer von der Wissenschaft inspirierten Fiktion. Zu seinen eifrigsten Lesern gehörte die Schriftstellerin Thea von Harbou (1888–1954), die Oberths Konzepte in ihren 1928 erschienenen Roman «Frau im Mond» aufnahm. Diesen adaptierte sie als Drehbuch für einen gleichnamigen Film, bei dem ihr Lebensgefährte, der heute legendäre Filmemacher Fritz Lang (1890–1976), Regie führte. Oberth wurde als technischer Berater zum Film hinzugezogen, der zu einem der prägendsten für die Entstehung des modernen Science-Fiction-Genres wurde. Später beriet er Hergé auch bei den Bänden «Reiseziel Mond» (1953) und «Schritte auf dem Mond» (1954) der Reihe Tim und Struppi.
«Die Rakete zu den Planetenräumen» ist ein valabler Kandidat für das Jahr Null in der wissenschaftlichen Literatur des Wettlaufs ins All im 20. Jahrhundert. Weltraumstarts sind zwar immer noch spektakulär, aber mittlerweile Routine in der modernen Technik. Allein im Jahr 2023 gab es 223 Orbitalstarts und 2024 wird diese Zahl voraussichtlich noch übertroffen. Dazu gehören auch die Ariane-Raketen, für die die GF Casting Solutions Division spezielle Komponenten herstellt.