Folge 26: Handwerke und Künste in Tabellen

«P. N. Sprengels Handwerke und Künste in Tabellen» (Berlin, 1767-1795)

erschienen im März 2023

Das Lieblingsbuch von Christian Kuhn

Christian Kuhn war im August 2021 Scholar in Residence der Eisenbibliothek. Sein Projekt verbindet technik-, umwelt- und wissenschaftsgeschichtliche Forschungen, um die aktuelle Suche nach Ideen für die bestmögliche Bienenhaltung in den Kontext historischer Entwicklungen zu stellen. Eine Serie von Büchern, die ihm während seines Aufenthalts bei uns nicht entgehen durfte, war «P.N. Sprengels Handwerke und Künste in Tabellen». Sprengel selber findet er darin voller Optimismus und Tatendrang.

Der Leser

Das Dokument, in dem ich gerne eine Rolle mitspielen würde…
...wäre zum Thema meines Aufenthalts in der Eisenbibliothek der Film «Land des Honigs» (2019). In einem ausgestorbenen Dorf in Mazedonien imkert die Naturimkerin Hatidze, um sich und ihre Mutter mit dem Nötigsten zu versorgen. Sie hält Bienenvölker in Felshöhlen und Baumhöhlen und ist in der Lage, mit ihrer menschlichen Stimme die Quakgeräusche einer jungen Königin nachzuahmen, dass ein Schwarm sich setzt und von ihr eingefangen werden kann. Hatidze und ihre Mutter sind arm, leben und erleiden ein karges Leben, in dem die Bienen eine ständige Lebensstütze bilden. Sie leben mit der Natur im Einklang, erleben den Jahresverlauf und Trachtquellen, um dann den Honig ernten zu können, der ihr Überleben sichert. Hatidze Muratova, deren Leben dokumentiert wird, wurde vom Critics’ Choice Documentary Awards 2019 als «überzeugendstes lebendes Thema eines Dokumentarfilms» ausgezeichnet.

Ich würde gern in dieser Phase des Films miterleben, wie die Protagonistin mit den Bienen lebt. Die späteren Teile des Films, wenn ein profitorientierter Saisonimker in eines der leerstehenden Nachbarhäuser einzieht, würden mich zu sehr an die heutige Intensivimkerei erinnern.

Das Buch, von dem ich gerne eine Fortsetzung lesen würde …
...wäre «Geschichte der Staatsgewalt» von Wolfgang Reinhard. Durch die Zuspitzungen und die Reduktion des Gegenstands, nämlich die Geschichte Europas seit der Antike, ist dieses Buch für mich keine beliebige historische Darstellung. Mich würde eine Fortsetzung im gleichen Stil interessieren, in der aktuelle, uns neu erscheinende Prozesse (Globalisierung, Digitalisierung, Selbstoffenlegung von Informationen durch jeden Einzelnen, Künstliche Intelligenz) berücksichtigt sind. Ich verspreche mir davon Antworten auf die Frage, wie sich staatliche Macht in den sich verändernden Rahmenbedingungen entwickelt.


Die Bücher, die momentan auf meinem Nachttisch liegen…
...sind Jenny Erpenbeck, «Kairos» (München, 2021) und eine Ausgabe des humanistischen Magazins «diesseits», durch dessen Berichte ich noch einmal auf das ausgezeichnete Buch gestossen wurde. Der Vorsitzende der Jury zur Verleihung des Uwe-Johnson-Literaturpreises, der Giessener Literaturwissenschaftler Carsten Gansel, formuliert darin die Pointe, dass Literatur eine «Umverteilung von Erfahrung» ermögliche. Sie erinnert mich auch an meinen Aufenthalt in der Eisenbibliothek.

Das Buch

P.N. Sprengel: «P. N. Sprengels Handwerke und Künste in Tabellen» (Berlin, 1767-1795)

Gleich am ersten Tag fiel mir P. N. Sprengels seit 1767 in Berlin erschienenes Buch «Handwerke und Künste in Tabellen. Mit Kupfern. Bearbeitung des Pflanzenreichs» auf. Eigentlich kannte ich es dem Namen nach bereits aus dem Katalog und aus einem Teildigitalisat, aber jetzt standen neun Lederbände vor mir auf dem Wagen mit den Büchern, die ich bestellt hatte. Der Titel «Handwerke […] in Tabellen» hatte mich in die Irre geführt. Ich hatte damit gerechnet, eine wortkarge, stichpunktartig verkürzte Tabelle zu meinem Thema vorzufinden. Stattdessen handelt es sich um ein gesprächiges Buch, das seine Leser über seine Gegenwart informieren möchte.

Dabei ist dieses Buch voll Optimismus und Tatendrang. Auf typisch aufklärerische Art und Weise rechtfertigt der Autor seine Publikation damit, dass er gemeinnützig wirken möchte. Er richte sich an die Jugend, möchte ihr im Überblick und im Detail einen Überblick über die Handwerke, denen sie sich einmal zu ihrem eigenen Glück widmen möchten, vorstellen. Offenbar hatte er diesen Stoff bereits unterrichtet und veröffentlicht diesen nun, um noch mehr Gemeinnützigkeit zu leisten.

«[Wenn] uns das Glück nur immer einige Handwerker zuführte, die fein genug sind, unsere Nachforschungen nicht für verdächtig zu halten; uns als Freunde ihrer Kinder zu halten; und uns bey unserm Eifer durch tröstende Blicke und willige Belehrung Muth einzuflössen» (Vorwort des ersten Bandes von 1767)

Hier wird die Menschheit als ganze angesprochen, der Jugend zu helfen, sich selbst zu einem glücklichen Leben durch ein tätiges Leben zu verhelfen. Diese Menschenliebe wird insbesondere darin deutlich, dass Kinder beim Werken – Sägen, Töpfern, Flechten – auf dem Titelbild abgebildet werden. Widmungsempfänger sind zwei Leiter von Waisenhäusern in Berlin und Frankfurt, ein Realschulleiter und ein Pfarrer. Der pädagogische Optimismus, in eine ungerechte, Schmerzen und Unvollkommenheiten zeigende Welt hinein zu publizieren, ist bei aller berechtigten Kritik der heutigen Geschichtswissenschaft an der Aufklärung doch ein Leseerlebnis.

Das Buch in IRONCAT

Sprengels Handwerke und Künste im Katalog der Eisenbibliothek