Folge 10: Vrsprung gemeynner Berckrecht ...

Johann Haselberg: Der Vrsprung gemeynner Berckrecht, wie die lange Zeit von den alten erhalten worde[n], darauß die Künigklichen vn[d] Fürstlichen bergks ordnungen vber alle Bergrecht geflossen [...]. (Strassburg 1535).

Erschienen im Februar 2017

Das Lieblingsbuch von Franziska Neumann

Franziska Neumann hatte im Juni 2016 als Scholar in Residence die Möglichkeit, sich intensiv mit der einzigartigen Sammlung frühneuzeitlicher Drucke zum Bergbau in der Eisenbibliothek zu beschäftigen. Als Lieblingsbuch hat sie eine Edition bergrechtlicher Texte ausgewählt, die der frühneuzeitliche Tausendsassa Johann Haselberg in den 1530er Jahren zusammengestellt und in grosser Auflage verkauft hat.

Die Leserin

Franziska Neumann

... ist Doktorandin an der Technischen Universität Dresden und untersucht in ihrer Dissertation die Entstehung der sächsischen Bergverwaltung im 16. Jahrhundert. Im Juni 2016 hatte sie als Scholar in Residence die Möglichkeit, sich intensiv mit der einzigartigen Sammlung frühneuzeitlicher Drucke zum Bergbau in der Eisenbibliothek zu beschäftigen.

Das Buch, in dem ich gerne mitspielen würde ...
Evelyn Waugh: Brideshead revisited : the sacred and profane memories of Captain Charles Ryder

Das Buch, von dem ich gerne eine Fortsetzung lesen würde ...
George Orwell: Nineteen Eighty-Four

Das Buch, das momentan auf meinem Nachtkästchen liegt ...
Irving L. Finkel/Jonathan Taylor: Cuneiform

Das Buch

Johann Haselberg: Der Vrsprung gemeynner Berckrecht, wie die lange Zeit von den alten erhalten worde[n], darauß die Künigklichen vn[d] Fürstlichen bergks ordnungen vber alle Bergrecht geflossen. [...]. (Strassburg 1535).

Ein Lieblingsbuch aus den Beständen der Eisenbibliothek auszuwählen ist eine schwere Aufgabe! Angesichts der inhaltlich wie auch optisch beeindruckenden Sammlung des Hauses fällt die Wahl schwer: lieber einen der zahlreichen wunderschönen Drucke des 16. und 17. Jahrhunderts – allen voran natürlich die illustrierten «De Re Metallica»-Ausgaben von Georg Agricola – oder doch eines der Bücher mit so illustren Titeln wie «Die Elektrizität, Ihre Erzeugung und Ihre Anwendung in Industrie und Gewerbe» von 1883?

Am Ende fällt die Entscheidung aber doch eindeutig zu Gunsten des eher unbekannten, aber nicht minder interessanten «Der Ursprung gemeynner Berckrecht» von Johann Haselberg, das vermutlich zwischen 1535 und 1538 entstanden ist. Das Buch ist eine Kompilation bergbaulicher Texte vom 13. bis zum 16. Jahrhundert und umfasst unter anderem neben dem Bergbüchlein von Ulrich Rülein von der Calw auch das Freiberger Bergrecht B, ein Glossar bergbaulicher Begriffe und die berühmte Annaberger Bergordnung von 1509 mit ihren Erweiterungen bis 1536.

Über Haselberg selbst wissen wir wenig. Vermutlich kam er aus dem katholischen Südwesten des Reichs und wahrscheinlich hat er auch studiert, aber genauere Informationen über ihn lassen sich kaum finden. Sicher ist, dass Haselberg ein frühneuzeitlicher Tausendsassa war: ein reisender Gelehrter, Übersetzer, Autor und Buchverleger, der zwischen 1515 und 1539 um die 36 Bücher mit historischen, literarischen und biblischen Themen geschrieben oder ediert hat, unter anderem einen Roman mit dem illustren Titel «Wie die Ritterbrüder des Purpelschen ordens mit grossen Schlachten und stürmen ir Ritterschafft erhaltent» (1533) oder eben den «Der Ursprung gemeynner Berckrecht», die erste Edition bergrechtlicher Texte.

Anders als Autoren wie Ulrich Rülein von der Calw oder Georg Agricola lässt sich Haselbergs Interesse am Bergbau weniger aus seiner eigenen Erfahrung, sondern vielmehr aus einer ökonomischen Motivation heraus erklären. Kleine Bücher wie das 44 Blätter umfassende „Der Ursprung gemeynner Berckrecht“ waren günstig zu haben und kamen im handlichen Quartformat daher. Leider wissen wir nur wenig über die konkrete Auflagenzahl oder den genauen Preis des Büchleins. David Conolly, der wohl beste Kenner von Haselbergs bergrechtlicher Schrift vermutet bei einer allgemeinen Auflagenhöhe zwischen 1'000 und 1'500 Exemplaren gut verkaufter Werke im 16. Jahrhundert, dass die Auflagenhöhe von Haselberg vermutlich eher am oberen Rand anzusiedeln sei. Conolly selbst kam auf 16 überlieferte Exemplare, wobei er das Exemplar der Eisenbibliothek übersehen hat. Nicht zuletzt einer der Gründe, genau diesen Band zum Lieblingsbuch zu erklären.

Aber zurück zur zeitgenössischen Leserschaft. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung Ende der 1530er hätte kaum besser sein können: Die großen Bergreviere im Harz oder im Erzgebirge standen zwar nicht mehr in voller Blüte, boten aber finanzstarken Investoren und abenteuersuchenden Glücksrittern noch genügend Hoffnung auf reiche Funde und große Ausbeuten. Entsprechend groß war das Interesse an bergbaulichen Texten und mit Haselberg erstmalig auch an bergrechtlichen Editionen.

Der Besitzer des Bandes, welches sich nun in der Eisenbibliothek befindet, nutzte seine Ausgabe jedenfalls intensiv, denn der gesamte Text ist mit handschriftlichen Querverweisen, Anmerkungen und Erweiterungen versehen. Damit verweist das kleine Exemplar in der Eisenbibliothek auf ein Phänomen, was zumeist im Verborgenen liegt, nämlich die Frage der Nutzung solcher Bücher. Der «Ursprung gemeynner Berckrecht» ist als Kompilation – auch zeitlich – sehr unterschiedlicher bergrechtlicher Texte nicht dazu gedacht, linear in einem Stück gelesen zu werden. Vielmehr lädt es zum gelegentlichen Nachschlagen und Vertiefen ein. Und genau dies tat auch der unbekannte Besitzer des Büchleins im 16. Jahrhundert: Er zog Querverweise zwischen verschiedenen rechtlichen Bestimmungen in den Bergordnungen, er erweiterte das Register über Begriffe des Bergbaus um eigene Einträge und notierte zusätzliche rechtliche Bestimmungen für gewisse Bereiche des Bergbaus.

Natürlich können wir auf Grundlage dessen nicht auf die allgemeine Praktik der Lektüre solcher Bücher als Gebrauchsgegenstände schließen, aber dieses kleine Werk mit seinen Annotationen macht deutlich, wie wichtig Wissen in der Welt des Frühneuzeitlichen Bergbaus war.

Während sich die prächtigen und entsprechend teuren Folioausgaben von «De Re Metallica» mit ihren wunderschönen Illustrationen an ein eher exklusives, aber nicht notwendigerweise auch im Bergbau tätiges Publikum richtete und als kostbare Bände in Bibliotheken gesammelt wurden, zielten populäre Traktate wie  «Der Ursprung gemeynner Berckrecht» auf ein breiteres und vermutlich im Bergbau engagiertes Publikum und eine eher praxisnahe Nutzung: eine Nutzung und vor allem ein Publikum, dass leider in aller Regel im Verborgenen bleibt. Dank des überlieferten Exemplars in der Eisenbibliothek können wir zumindest einen kleinen, wenngleich nur schemenhaften Eindruck gewinnen, wie solche Bücher zeitgenössisch rezipiert und genutzt wurden. Welch bessere Begründung kann es für ein Lieblingsbuch geben!