Folge 32: Ramellis Maschinen – Technik trifft Kunst

«Le diverse et artificiose machine del capitano Agostino Ramelli» (Paris, 1588)

erschienen im September 2025

Das Liieblingsbuch von Jörg Spinatsch

Jörg Spinatsch kam 2023 als Praktikant in die Eisenbibliothek und übernahm Ende letzten Jahres die Stelle als wissenschaftlicher Archivar im GF-Konzernarchiv. Sein Lieblingsbuch stellt er auch gerne bei Bibliotheksführungen vor: Agostino Ramellis grossartiges und facettenreiches Buch von 1588 mit Maschinenkonstruktionen aus der Renaissance.

Der Leser

Das Buch, in dem ich gerne eine Rolle spielen würde...
...ist jedes Buch von Haruki Murakami, zum Beispiel Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt. In diese vielschichtige Erzählwelt einzutauchen, wäre ein ganz besonderes (literarisches) Abenteuer.

Das Buch zu dem ich gerne eine Fortsetzung lesen würde...
...ist 1984 von George Orwell. «1984» ist seit langem eines meiner Lieblingsbücher. Eine Fortsetzung, in der sich der „Archivar“ Winston Smith gegen das System auflehnt und rehabilitiert, erscheint mir aus heutiger Sicht spannender denn je.

Das Buch, das derzeit auf meinem Nachttisch liegt …
… ist Prophet Song von Paul Lynch. Seine lebhafte Darstellung der Unvorhersehbarkeit des Lebens regt zum Nachdenken an. Durch die Verknüpfung von Alltagssorgen, persönlichen Schicksalen und autoritären gesellschaftlichen Entwicklungen schafft der Autor eine bedrückende Atmosphäre, die einen nicht loslässt.

Das Buch

Agostino Ramelli: «Le diverse et artificiose machine del capitano Agostino Ramelli ... : nellequali si contengono varij et industriosi movimenti, degni digrandissima speculatione, per cavarne beneficio infinito in ogni sorte d'operatione : composte in lingua Italiana et Francese» (Paris, 1588)

Im Ernst-Müller-Zimmer, dem Herzstück der Eisenbibliothek, ganz hinten links, satinweiss schimmernd, steht Agostino Ramellis «Le diverse et artificiose machine» aus dem Jahr 1588. Der im Vergleich zu anderen Werken in der Bibliothek bescheiden anmutende Einband soll nicht über den technikhistorischen Gehalt und die kunstvolle Gestaltung im Innern des Buchs hinwegtäuschen. Ramellis «Le diverse et artificiose machine» steht am Anfang der faszinierenden Maschinenbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts. Das Buch, voller Zahnräder, Wasserschöpfer, Mühlräder und mechanischer Apparate, zeugt vom sprühenden Einfallsreichtum seines Autors.

Agostino Ramelli (1531–1600) war ein italienischer Architekt und Militäringenieur in französischen Diensten. Unter Gian Giacomo Medici (kein Abkömmling der florentinischen Medici Dynastie), der ein Schüler von Leonardo da Vinci war oder zumindest dessen Schule an der Mailänder Akademie der Wissenschaften besuchte, studierte Ramelli Mathematik und Kriegswissenschaften. Ramellis «Le diverse et artificiose machine», sein einziges gedrucktes Werk, steht in diesem Sinne in einer direkten Nachfolgelinie mit den Ideen und Entdeckungen von da Vinci. Mit seinem Buch, das bemerkenswerterweise nicht auf Latein, sondern zweisprachig auf Italienisch und Französisch erschienen ist, hat Ramelli der Nachwelt einen reichhaltig illustrierten Schatz mit über 190 technischen Konstruktionen hinterlassen.

Was Ramellis Werk so besonders macht, ist nicht nur der technische Inhalt, sondern auch die grafische Gestaltung. Die präzisen Kupferstiche veranschaulichen Ramellis Maschinen detailgetreu. Viele der Geräte und Fahrzeugmaschinen, die zur militärischen Eroberung von baulichen Festungen wie Städten und Burgen konzipiert waren, muten für die damalige Zeit futuristisch an. Die Macher von Science-Fiction Filmen wie Mad Max oder Blade Runner haben hier vielleicht ihre Inspiration gefunden.

Besonders angetan hat es mir das sogenannte Bücherrad. Es handelt sich um eine ausgeklügelte Holzkonstruktion mit zwölf einzelnen Lesepulten, Zahnrädern und Gegengewichten. Man kann sich den Gelehrten der Renaissance förmlich vorstellen, wie er in einem Studierzimmer sitzt, umgeben von Folianten, während die Lesemaschine sich leise knarrend dreht, um ihm das nächste Buch zu präsentieren.

In Expertenkreisen ist man sich uneins bezüglich des technologischen Werts von Ramellis Erfindungen. Sind sie zu kompliziert und unrealisierbar? Oder doch konstruierbar und funktionsfähig? So oder so – «Le diverse et artificiose machine» ist ein Zeitzeugnis und doch seiner Zeit voraus, reich an mechanischen Ideen, und ganz einfach ein wunderschön gestaltetes Buch.

Das Buch in IRONCAT

"Le diverse et artificiose machine" im Katalog der Eisenbibliothek